VANITAS, VANITATUM, ET OMNIA VANITAS.
Es ist alles gantz eytel. Eccl. 1. V. 2
JCh seh’ wohin ich seh / nur Eitelkeit auff Erden /
Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein /
Wo jetzt die Städte stehn so herrlich / hoch und fein /
Da wird in kurtzem gehn ein Hirt mit seinen Herden:
Was jetzt so
prächtig blüht / wird bald zutretten werden:
Der jtzt so pocht und
trotzt / läst ubrig Asch und Bein /
Nichts ist / daß auf der Welt könt unvergänglich seyn /
Jtzt scheint des Glückes Sonn / bald donnerts mit beschwerden.
Der Thaten Herrligkeit muß wie ein Traum vergehn:
Solt denn die Wasserblaß / der leichte Mensch bestehn
Ach ! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten !
Als schlechte Nichtigkeit ? als hew / staub / asch unnd wind ?
Als eine Wiesenblum / die man nicht widerfind.
Noch will / was ewig ist / kein einig Mensch betrachten !
Erstdruck 1637,
ANDREAE GRYPHII, Sonnete
Es ist alles eitell.
DU sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auff erden,
Was dieser heute
bawt / reist jener morgen ein :
Wo itzund städte stehn / wird eine
wiesen sein
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden.
Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist morgen asch vnd bein.
Nichts ist das ewig sey / kein ertz kein marmorstein.
Jtzt lacht das Gluck vns an / bald donnern die beschwerden.
Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.
Soll den das spiell der zeitt / der leichte Mensch bestehn.
Ach ! was ist alles dis was wir für köstlich achten /
Als schlechte nichtikeitt / als schaten staub vnd windt.
Als eine wiesen blum / die man nicht wiederfindt.
Noch will was ewig ist kein einig mensch betrachten.
Erstdruck 1643,
ANDREAE GRYPHII, SONNETE. Das erste Buch
Das Zeitalter des Barock. Texte und Zeugnisse,
herausgegeben von Albrecht Schöne, München 1963, S.242f
Es ist alles eitel (Hochdeutsche Fassung)
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn ?
Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't!
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten.
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eitel - vain
Eitelkeit - vanity
auf Erden - on the earth
reißen ... ein (= einreissen) - tear down
Wiese - meadow, field
mit den Herden - with the herd (sheep)
itzund = jetzt - now
prächtig - glorious, noble, resplendent, grand, splendid, magnificent
blühen - blosom
zertreten - stepped upon, destroyed
pochen - pulsate, lives, rise up
trotzen - defy, brave, stand up to
Asch und Bein - ashes and bone (after a body is burned)
ewig - eternal
Erz - ore (basis of metals)
Marmorstein - marble
das Glück - fortune, fate
donnern - fulminate, thunder (cry out)
die Beschwerden - complaints
der hohen Taten Ruhm (= Ruhm der hohen Taten) - fame of great deeds
vergehen - disappear, disolve
bestehen - remain, survive
für köstlich achten - hold for dear
Nichtigkeit - nothingness, voidness
eine Wiesenblume - a flower of the meadow (= a thing that lives but a short life)
betrachten - contemplate, hold in thought