Heike Geissler
Das luftige Leben

Tyler Symalla

[...] Weil er konzentriert beschäftigt und noch nicht wieder daran gewöhnt war, über reichlich freie Zeit zu verfügen, stellte er seinen Gedanken nichts in den Weg und erschrak deshalb, als einer wie eine Klage tönte: dass er in diesem Jahr nicht umtriebig genug gewesen sei, dass sich deshalb keine Frau an seiner Seite befinde. [...]
[...] Er verabredete sich mit ihr für den Abend und dachte sofort, dass es das Jahr nun doch noch gut mit ihm meine, dachte aus Überschwang, dass selbst sein Leben es gut mit ihm meine und dachte sich weit voraus. Er war, als er die Urlauber vor dem Tourismusbüro erreichte, gedanklich schon beim Einkauf, überlegte, mit welchem Gericht die Frau zu beeindrucken wäre. Während er den Urlaubern die Sehenswürdigkeiten erklärte, den Finger auf das älteste Reethaus des Ortes richtete, plante er das Aufräumen seines Hauses und worüber mit ihr zu reden wäre. [...]
[...] Die Frau sah ihn zuerst fragend, dann verärgert an. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch schloss ihn sogleich. Als sie die Serviette vom Schoß nahm und aufstand, erhob er sich ebenso. Er war zu müde, sich angemessen zu verabschieden, aber war hellwach und erleichtert, als die Frau die Tür ins Schloss zog. [...]
 [...] Siehst du, sagte er dem Engel, wie ich versprach, da ist nichts. Er ging weiter, lauerte auf eine Regung des Engels. Ja, sagte er, da waren sicher einige Frauen, aber die waren eben, und jetzt bist du. Es kommt doch, sagte er, niemand in meinem Alter wie bei einem ersten Mal daher. Genau genommen, dachte er, komme ich aber wie bei einem ersten Mal daher. [...]
[...]Langsam ging er nach dem Aussteigen den mit ihren Gepäckstücken den Weg einnehmenden Touristen hinterher, nutzte aber die Gelegenheit, sich an der Ampel vor alle zu stellen. Von einem älteren Mann wurde er am Ärmel gezogen und darauf hingewiesen, dass er halb auf der Straße stehe. Er schüttelte die Hand von seinem Arm. Sagte, er wisse schon Bescheid, kenne sich aus, bestens sogar. Außerdem käme um diese Uhrzeit ohnehin nur selten ein Auto. Er blickte den Mann herausfordernd an, trat dennoch zurück, merkte fremde Füße unter seinen, entschuldigte sich leise. Als er sich auf der Höhe seines Hauses befand, überquerte er die Straße und spürte, wie alles, was in ihm zu leicht war, sich zu drehen begann. [...]

Wortschatz:
1. umtriebig sein - to be on the go/on the prawl
2. sich mit jemandem verabreden - to make a date with someone
3. vorausdenken - to think ahead/plan
4. Reethaus - a house with a thatched roof (typical for north German villages)
5. Regung - impulse
6. Ampel - stoplight/trafficsignal
7. Aermel - sleave
8. herausfordernd - provoked