Alfred Andersch (1914-1980)

 

Der Vater eines Mörders (Erzählung, 1980)

 

            „[...] Schon seit einer Weile dachte er der alte Himmler, nicht mehr der Rex, weil ihm, sogleich als Konrad Greiff dem hohen Tier einen Namen gegeben hatte, - so, wie man einen Hund ja nicht Hund ruft, sondern Hektor oder Buzi -, eingefallen war, wie ihn sein Vater, als er ins Gymnasium eintrat, vor dem Oberhaupt der Schule gewarnt hatte.

            »Oberstudiendirektor im Wittelsbacher ist der alte Himmler«, hatte er gesagt.  »Vor dem nimm dich in Acht!  Du wirst ja, besonders in den Unterklassen, kaum mit ihm zu tun haben, aber wenn, dann hüte dich, bei ihm unangenehm aufzufallen!  Der Mann ist gefährlich!«

            Das war nun schon gut drei Jahre her, und inzwischen hatte sich der Titel vor den Namen geschoben, der Rex war eben für die ganze Schule der Rex, nichts weiter – nichts weiter als ein Herr Himmler war er scheinbar nur für Konrad Greiff.  Übrigens hatte sein Vater ihm nie erklärt, warum er den Mann für gefährlich hielt.  Franz hatte sich aber darüber gewundert, daß er ihn den alten Himmler nannte; der Rex war doch höchstens ein paar Jahre älter als Vater!  Ehe er ihn deswegen befragen konnte, hatte er aber schon eine Antwort bekommen, vermittels eines Vergleichs, indem sein Vater nämlich einen jungen Himmler erwähnte, der des Oberstudiendirektors Sohn war.

            »Der junge Himmler ist schwer in Ordnung«, hatte sein Vater erzählt.  »Ein ausgezeichneter junger Mann, ein Hitler-Anhänger, aber nicht einseitig, er kommt auch immer zu uns Ludendorff-Leuten und in die ›Reichskriegsflagge‹, von den jungen Kameraden, die bei uns aus- und eingehen, ist er der Gescheiteste und Zuverlässigste, rühig, aber eisern entschlossen, Jahrgang 1900, deswegen konnte er nicht mehr Frontsoldat werden, aber ich glaube, im Graben hätte er bestimmt seinen Mann gestanden, so einen wie ihn hätte ich gern in meiner Kompanie gehabt, er ist mit seinem Vater tödlich verfeindet, der alte Himmler ist nämlich Bayerische Volkspartei, schwarz bis in die Knochen, hält sich zwar für einen nationalen Mann, aber im Krieg war er ein Etappen hengst, und er ist nichteinmal Antisemit, er findet nichts dabei, mit Juden zu verkehren, das muß man sich einmal vorstellen, mit Juden!, deswegen hat sein Sohn die Beziehungen mit ihm abgebrochen, der junge Himmler würde sich niemals mit Juden, Jesuiten und Freimaurern an einen Tisch setzen. [...]“