Ingeborg
Bachmann (1926-1973)
Undine geht (Erzählung, 1961)
Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!
Ihr Ungeheuer mit Namen Hans! Mit diesem
Namen, den ich nie vergessen kann. Immer wenn ich durch die Lichtung
kam und die Zweige sich öffneten, wenn die Ruten mir das Wasser
von den Armen schlugen, die Blätter mir die Tropfen von den
Haaren leckten, traf ich auf einen, der Hans hieß.
Ja, diese Logik habe ich gelernt, dass
einer Hans heißen muss, dass ihr alle so heißt, einer wie
der andere, aber doch nur einer. Immer einer nur ist es, der diesen
Namen trägt, den ich nicht vergessen kann, und wenn ich euch
auch alle vergesse, ganz und gar vergesse, wie ich euch ganz geliebt
habe. Und wenn eure Küsse und euer Samen von den vielen
großen Wassern - Regen, Flüssen, Meeren - längst
abgewaschen und fortgeschwemmt sind, dann ist doch der Name noch da,
der sich fortpflanzt unter Wasser, weil ich nicht aufhören kann,
ihn zu rufen, Hans, Hans
Ihr Monstren mit den festen und unruhigen
Händen, mit den kurzen blassen Nägeln, den
zerschürften Nägeln mit schwarzen Rändern, den
weißen Manschetten um die Handgelenke, den ausgefransten
Pullovern, den uniformen grauen Anzügen, den groben Lederjacken
und den losen Sommerhemden! Aber lasst mich genau sein, ihr
Ungeheuer, und euch jetzt einmal verächtlich machen, denn ich
werde nicht wiederkommen, euren Winken nicht mehr folgen, keiner
Einladung zu einem Glas Wein, zu einer Reise, zu einem Theaterbesuch.
Ich werde nie wiederkommen, nie wieder Ja sagen und Du und Ja. All
diese Worte wird es nicht mehr geben, und ich sage euch vielleicht,
warum. Denn ihr kennt doch die Fragen, und sie beginnen alle mit ″Warum?″
Es gibt keine Fragen in meinem Leben. Ich liebe das Wasser, seine
dichte Durchsichtigkeit, das Grün im Wasser und die sprachlosen
Geschöpfe (und so sprachlos bin auch ich bald!), mein Haar unter
ihnen, in ihm, dem gerechten Wasser, dem gleichgtültigen
Spiegel, der es mir verbietet, euch anders zu sehen. Die nasse Grenze
zwischen mir und mir
Ich habe keine Kinder von euch, weil ich
keine Fragen gekannt habe, keine Forderung, keine Vorsicht, Absicht,
keine Zukunft und nicht wusste, wie man Platz nimmt in einem anderen
Leben. Ich habe keinen Unterhalt gebraucht, keine Beteuerung und
Versicherung, nur Luft, Nachtluft, Küstenluft, Grenzluft, um
immer wieder Atem holen zu können für neue Worte, neue
Küsse, für ein unaufhörliches Geständnis: Ja. Ja.
Wenn das Geständnis abgelegt war, war ich verurteilt zu lieben;
wenn ich eines Tages freikam aus der Liebe, musste ich zurück
ins Wasser gehen, in dieses Element, in dem niemand sich ein Nest
baut, sich ein Dach aufzieht über Balken, sich bedeckt mit einer
Plane. Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben. Tauchen, ruhen, sich ohne
Aufwand von Kraft bewegen - und eines Tages sich besinnen, wieder
auftauchen, durch eine Lichtung gehen, ihn sehen und ″Hans″
sagen. Mit dem Anfang beginnen.
″Guten Abend.″
″Guten Abend.″
″Wie weit ist es zu dir?″
″Weit ist es, weit.″
″Und weit ist es zu mir.″
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