Heinrich Mann (1871 - 1950)

 

Dichtkunst und Politik (Essay, 1928)

 

Wir wollen wissen, welche Stellung eine Form des schöpferischen Geistes, die Dichtkunst, dem Staat gegenüber behaupten muss, und was andererseits der Staat von ihr zu halten hat. Der Geist und der Staat sind die beiden alles umfassenden Großmächte, deren Verhältnis, falls es existiert, wir verstehen müssen. Erst dann werden wir die ihnen untergeordneten Teilkräfte miteinander vergleichen konnen. Dies sind auf der einen Seite die Künste und die Wissenschaften, auf der anderen die politischen Gewalten.

Wir nennen Geist die menschliche Fähigkeit, der Wahrheit nachzugehen ohne Rücksicht auf Nutzen oder Schaden, und Gerechtigkeit zu erstreben sogar wider praktische Vernunft. Der Staat hingegen vertritt die Menschennatur gerade so weit, als sie Vorteil sucht und sich seinetwegen auch mit dem Schlechten abfindet.

Der Staat ist vom Zweck bestimmt. Zweckhaft Gesinnte, denen die Macht dazu gegeben war, haben ihn errichtet. Sogar die Gerechtigkeit des Staates ist zweckvoll. Sie wird keineswegs vom Streben nach Wahrheit und unbedingtem Gleichmaß bestimmt. Sie ist nicht sittlich im Sinn des geistigen Gewissens. Dieses wohnt weder in der ursprünglichen Gerechtigkeit des Staates, noch in irgendeiner anderen seiner Funktionen. Sein Wesen selbst ist nicht Sittlichkeit, sondem der Nutzen.

Der Geist aber ist sittlich in sich selbst, und Sittlichkeit vollendet sich einzig  in ihm. Außerhalb des Geistes, besonders in den Handlungen, kommt sie nicht endgültig vor.

[...] Da der Geist auch in den meisten einzelnen Menschen nur selten und zaghaft auftritt, um alsbald wieder zu verstummen, brauchte er von jeher eigene Stimmen, eine Menschenklasse, die nur ihm diente, nichts anerkannte neben dem Geist, nichts forderte, als seine Sittlichkeit.

Das sind die Priester, die Philosophen und die Dichter. Es sind aber ebenso wohl alle Denkenden, alle Schaffenden, die um des Gedankens und des Werkes willen, nicht wegen ihres Nutzens und äußeren Vorteils das Leben bestehen. Sie geben ein Beispiel; und vielleicht ist das stumme Beispiel des Forschers oder Bildners stärker als unseres, die wir reden.

[...] Praktisch haben sowohl die Kunst als auch die Religion und die Wissenschaft von jeher mit den politischen Mächten zu schaffen gehabt, immer fordernd, oft triumphierend, noch öfter leidend. Dies ist die herkömmliche Haltung der Geistigen, zu fordern, in ihren Forderungen entweder zu siegen oder zu unterliegen, dauernd aber im Gegensatz zu sein zu der politisch mächtigen Wirklichkeit. Von jenen Geistigen, die sich ihr unterwerfen, ist hier nicht die Rede, nur von den anderen.

Die Geistigen, die sich nicht unterwarfen, sind im Ganzen höher geehrt worden als die anderen. Auch verfolgt zu werden, geriet ihnen schließlich zur Ehre. Man hat es andererseits weit bringen können, wenn man sich unter Verleugnung der zeit- und körperlosen Wahrheit fur die vergänglichen Leidenschaften einer gegebenen Menschengruppe einsetzte. Aber so achtbar die Leidenschaften und ihr Verfechter gelegentlich sein mochten, der unverwandte Blick auf die Ewigkeit hat weiter hinan und zu größerer Geltung getragen.