Botho Strauß (1944 - )
Ihr Brief zur Hochzeit
(Erzählung, 1987)
Du, mein Mann, wirst heute eine andere zur
Frau nehmen. Eingeladen kann ich nicht sein, aber einen Brief sollst
du von mir bekommen. Eingeladen sind alle jene, die wir bis vor
kurzem gemeinsam zu Freunden hatten, auch wenn sie mehr deine als
meine Freunde waren. So werden sie zu dir kommen und werden mit euch
feiern, obwohl, ich weiß es, mancher unter ihnen ist, der
zögert ein wenig und will sich nicht so schnell daran
gewöhnen, dass sich um dich herum so viel verändert hat.
Nein, ich will dich nicht beirren, mein einziger Freund. Ich kann nicht sagen, es ist gut so, wie es geschieht. Kann auch nicht sagen, es sollte besser nicht geschehen. Weil es mir weh tut. Aber was kümmert das noch? Es ist nicht der Tag, an dem du dich fragen sollst, ob du richtig handelst oder ob du die "Richtige" gefunden hast - ich bin ganz sicher, dass es die Richtige ist. Du machst sie dazu.
Ich kenne wohl die Macht deiner
Einwirkungen, die Großzügigkeit deines väterlich
starken Herzens - sie zieht jedes Wesen, das du liebst, groß.
Nur fragen kannst du dich
einmal - vorsichtig! -, ob du überhaupt jemanden gesucht hast
und nicht vielmehr sofort jemanden gebraucht hast, um nicht zu
stürzen
[
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Was ist? Willst du den Brief beiseite
legen? Tu's nicht! Ich bitte dich: noch ein Wort! Bevor du dich
deinen Freuden hingibst, noch ein letztes vor deinem rauschenden
Fest, dem Fest, auf dem unser beider Leben endgültig verrauscht,
unser schweres, wunderbares gemeinsames Leben - noch ein Wort.
Wer immer von uns beiden der erste sein
wird, der aufhört und zu Ende geht, er wird den anderen rufen,
nicht wahr? Denn nur eine, eine ist es gewesen, der du alles gesagt
hast, die dein ganzes Vertrauen besitzt und bewahrt hat, und du holst
deine einzige Freundin, bei allem Nahen, was dich sonst noch umgibt,
nur sie; zu ihr allein richtest du dich auf, wenn auch sonst viel
Gutes noch war. Eine aber, die mehr weiß; am Ende doch nur
eine, die dich für immer berührt hat; eine, die zu dir
eilen wird, wo immer sie sich befindet auf dieser kärglichen
Erde, und der du ein letztes noch anvertrauen wirst: "Leb wohl, meine
Liebe", und einen Stempel des Anfangs drückst du auf ihren Mund.
Dies ist ein Versprechen auf
Gegenseitigkeit. Und mit diesem Versprechen ist unsere Geschichte
beschlossen. Jeder von uns wird sein Leben gut und mehr oder minder
glücklich dahinbringen, aber wir werden bald erkennen, dass es
von nun an eine Neigung hat, eine unaufhaltsame, hin zu jenem
Wiedersehen, bei dem einer von uns dem anderen die Erscheinung allen
Anfangs gewähren wird.
Du wirst es sehen - ich werde es sehen:
dann ist noch einmal der Tag, an dem wir uns erschufen, an dem
wir heiter und mit hellen Gesichtern die Stadt an der grauen
Felsküste hinunterliefen zum Hafen und, wie wir so abwärts
schritten, der Nebel sich plötzlich verzog, als hätte unser
Licht ihn geteilt
Mein Leben, komm!